Ich wollte nicht lange in Vientiane bleiben. Der Ort hörte sich im Vorfeld eher mässig interessant an und war als Zwischenstopp angedacht. Aber auf einmal bin ich 8 Tage hier. Die meisten Leute ziehen sofort weiter. Stellvertretend etwa der ältere Deutsch-Vietnamese, der heute mit am Frühstückstisch saß und direkt weiter nach Vang Vieng wollte. Vermutlich hätte ich das in einem Urlaub auch so gehandhabt. Wenn ich ehrlich bin, waren meine bisherigen Reisen auch durch so viele Ortswechsel wie möglich in den 3-4 Wochen geprägt. In meinem Leben gibt es aber erstmal keinen Urlaub mehr. Den Urlaub habe ich abgeschafft. Und ich versuche langsam herauszufinden, wie ich meinen Alltag ausgestalte. Ein Expat bin ich nicht, schließlich reise ich und bin nicht fest an einem Ort. Und eine grobe Route habe ich für die nächsten Monate. Ebenso bin ich kein digitaler Nomade, da ich nicht von unterwegs aus arbeite. Es juckt mich in den Fingern und ein Teil von mir würde am liebsten direkt irgendwo zwischen Thailand, Singapore und Japan eine Firma gründen oder einen Job als Softwareentwickler annehmen. Ein klares Nein zu dieser Option, ich brauche erstmal Zeit ohne irgendeine Form von Projekt. Und im Zen Tempel werde ich komplett aus der Welt sein, der code of conduct wurde mir inzwischen zugesandt. Und Alltag im Kloster ist stark reglementiert und zeitlich getaktet, was alle Lebensbereiche umfasst.
Deswegen habe ich mir Tom Hodgkinson und Dan Kieran als Schutzpatrone ausgesucht: einfach mal nichts machen. Immer wenn mich ein Impuls durchzuckt, lasse ich erstmal los (bei mir heißt nichts tun, dass ich etwa 4 Fachbücher gleichzeitig lese). Und langsamer reisen. Und es stimmt: sobald man die Geschwindkeit reduziert, passieren auf einmal die guten Dinge, die ansonsten an einem vorbeirauschen. Man wird Zeuge einer laotischen Hochzeit. Man spielt Fußball mit 2 Badeschlappen als Tor mit lokalen Jungs an der Mekongpromenade. Oder sieht anderen Jungs zu, die zu Trap Musik eine heftige Breakdance Performance abliefern und sich anschließend lachend selbst feiern. Ich werde auf einmal von 5 laotischen Studentinnen umringt, die als Uniprojekt auf englisch Konversation mit einem Ausländer machen sollen und das Ganze auf Handy aufzeichnen. Oder man sieht den jugendlichen Cliquen zu, die sich mit ihren Rollern auf einer geraden, gut ausgebauten Strecke Wettrennen liefern. Die Polizei hat selbiges auch mitbekommen und positioniert sich gemeinerweise in einer uneinsichtigen Baustellenausfahrt und zieht alle Fahrer ohne Helm raus.
Jeden Morgen dasselbe Ritual: ich schlurfe zur Rezeption und zahle für die nächste Nacht. Wie ein Magier im Morgenmantel, bei dem die Nacht zuvor lang war. Dazu passt auch, dass ich hier im Hostel Lev Grossman – „The Magicians“ fertig lese. Zauberhaft. Und ich liebe diesen Zustand. Denn es geht nicht um den Orte. Vientiane könnte für mich auch ein furchtbar langweiliger Ort sein. Es gibt hier keine Architektur zu bestaunen oder extravaganten Abenteuer zu erleben. Aber das will ich auch nicht. Ich sehe dann doch deutliche Unterschiede zu dem Erlebnishorizont von den 20jährigen Backpackern, die den klassischen Banana Pancake Loop machen. Nichts gegen junge Backpacker, aber meine Reise ist eine andere. Glaube ich. Zumindest anders als die von allen, die hier nur durch den Ort hetzen und schon gelangweilt auf das nächste „Awesome Experience“ warten. Ich interessiere mich dagegen für das hier und jetzt. Mich interessiert, welche Rollermodelle Leute fahren,wann und warum die Locals ihr kleines Ladengeschäft morgens aufmachen, wie der Alltag in Laos aussieht, und wie man davon leben kann Zigaretten für 80 Cent die Packung zu verkaufen.
Und aktuell passt hier alles für mich perfekt. Ich hänge jeden Tag mit A ab und wie in Jim Jarmusch’s „Coffee and Cigarettes“ zelebrieren wir die Kaffeehauskultur. Es ist für mich eine unglaublich wichtige Erfahrung jemanden zu treffen, der diesen Weg konsequent beschritten hat und eine unglaubliche Menge an Erfahrungen und Wissen gesammelt hat. Es ist möglich. Es ist machbar. Und nebenher bekomme ich einen kleinen Einblick in das konkrete How-To, etwa wie ich eine Firma in Hong Kong gründe.
Ich extrem froh diese Erfahrungen zu machen: nämlich auf einmal eine Person zu treffen, mit der die Wellenlänge stimmt und ich einen riesigen Schub positive Energie mitnehme. Also die positiven Chancen so einer Reise: jemanden, den man zu Hause nicht getroffen hätte.
Und ich revidiere meine Mauligkeit über das laotische Essen: die Auswahl in Vientiane ist groß und das Essen lecker. Vietnamesische Springrolls mit pikanter Soße auf kaltem Nudelsalat. Reichhaltig belegte Baguettes mit französischem Einschlag. Gedämpfte Dumplings mit Füllung, die ich aus der chinesischen Küche und aus Chiang Rai kannte. Beliebt ist hier ein 20cm langes Bambusrohr in unterschiedlichen Dickegraden und Preisklassen, in dem Reis mit Fleisch gegart wurde. Das große Mysterium sind jedoch die Pakete aus Bananenblättern, die es in allen Größenformaten gibt, teils wie ein Päckchen groß. Was darin ist weiß man im Vorfeld nicht, die eher kegelförmigen sind wie ein süßer Nachtisch mit einer Konsistenz ungefähr wie Milchreis: nicht fest, nicht gelee-artig. Prädikat: Hilfe, ich platze!
Und die Laoten wachsen mir ans Herz. Es sind die Norweger Südostasiens. Ein stoischer Gesichtsausdruck ist hier Standard und wenn man sich erstmal daran gewöhnt hat, ist diese kühle, nordische Art ziemlich sympathisch und erfrischend.
Verwendetes Bildmaterial: Arian Zwegers, Vientiane, Mekong, CC BY-SA 2.0